Meins

ERSCHIENEN IN HARPERS BAZAAR

Wenn ich noch einen Artikel mit der Überschrift „Warum du dein Geld in Erlebnisse, nicht in Besitz investieren solltest“ lese oder jemanden mit dem Gesichtsausdruck des neuerlich Erleuchteten sagen höre: „Besitz ist mir unwichtig, man muss im Leben in Erlebnisse und nicht in Materielles investieren“, kaufe ich mir einen Maserati Biturbo Spider. 

Jeder weiß: Glaubenskriege sind das Übel dieser Welt. Wer einen Entweder-Oder Graben zwischen dem Begriff „Besitz“ und „Erlebnis“ zieht, eröffnet einen Glaubenskrieg. Es schwingt dabei immer gleich Folgendes mit: Materieller Besitz ist für Kapitalismus-Opfer, Freigeister legen es auf ätherische Erlebnisse an.

Das ist schon allein deshalb ein Irrtum, weil es jemanden nicht weniger zum Kapitalismusteilnehmer macht, wenn er ein Erlebnis in Form einer Reise, eines Bungee-Jumps oder eines Kite-Surfing-Kurses kauft, anstatt sich ein neues Bücherregal oder einen teuren Lippenstift zuzulegen. Ob man sich nun ein sogenanntes Erlebnis kauft oder ein materielles Gut (später übrigens mehr dazu, dass man ohne Material wenig unternehmen kann) – in beiden Fällen hängt man seine Lebensglück an Kaufkraft. Dass man auch mit „Experiences“ viel Kohle machen kann, haben Marketingmenschen längst für sich entdeckt.

Das eigentliche Rätsel an der Gegenüberstellung von Besitz und Erlebnis bleibt aber, Stichwort ohne-Material-kein-Erlebnis, folgendes: Was ist an einem neuen Bett, fantastischer Bettwäsche, einem Auto, Fahrrad, Parfum, Kleid, einer handgefertigten Uhr oder einem soliden Kochmesser eigentlich kein Erlebnis? Ich freue mich jeden einzelnen Tag über mein mittlerweile acht Jahre altes Bett, über mein Moormann-Bücherregal und die vielen Bücher darin. Ich freue mich über meine guten Gardinen und mein teures Kochmesser. Ich freue mich sogar noch über meinen Laptop, obwohl und gerade weil ich ihn wirklich jeden Tag benutze. Er war wie vieles andere, das ich besitze, durchaus teuer und für das Geld hätte ich auch nach New York fliegen können. Aber dann hätte ich jetzt keinen guten Laptop.

Im Moment überlege ich, mir endlich die perfekte Balkon-Sonnenliege für den Sommer zu kaufen. Ich verspreche mir davon extrem viele Glücksmomente. Und um die gehts bei der ganzen Debatte um Besitz vs. Erlebnis doch, oder nicht? Der hundertfach zum Thema zitierte Psychologieprofessor Dr. Thomas Gilovich würde mich jetzt darüber aufklären, dass des Glücks größter Feind die Gewohnheit ist. An eine Sonnenliege auf dem Balkon würde ich mich demnach schneller gewöhnen, also weniger lang und intensiv erfreuen, als an einem einmaligen Sommer-„Erlebnis“, sagen wir: einer Schlauchboottour mit meinen Freunden. Von der Erinnerung an dieses einmalige Erlebnis hätte ich langfristig mehr, als von meiner Sonnenliege. 

Doch Erinnerungen an einmalige Erlebnisse bleiben doch auch nur lebendig, wenn man sie sich immer wieder nostalgisch vor Augen hält. Die Kunst ist, es mit seinen Besitztümern genauso halten und sich regelmäßig dran erinnern, was sie einem schon alles für Glücksmomente beschert haben. Das Gute an ihnen im Vergleich zu vergangenen Erlebnissen: Sie tun es immer wieder. Man besitzt sie ja.

Wenn einen allerdings die Dinge, die man besitzt, nach einem Tag schon nicht mehr interessieren, hat man ein ganz anderes Problem. Nämlich entweder eins mit gutem Geschmack, oder, wahrscheinlicher: eins mit Dankbarkeit.

Ich halte es jedenfalls mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann, wenn er sagt: „Glück erlebt man in den Momenten, in denen man seine Aufmerksamkeit auf etwas Angenehmes richtet. Wer sein Glück vergrößern möchte, sollte sich mehr Momente verschaffen, in denen er auf etwas Schönes konzentriert ist.“

Wer es nicht schafft, sich länger als ein paar Stunden an seinen materiellen Neuanschaffungen zu freuen, hat garantiert auch ein Problem damit, sich nach der Rückkehr aus seinem Erlebnisurlaub noch besonders lange an den dazugehörigen Erinnerungen zu erfreuen. Er wird eine dieser chronisch unzufriedenen Personen sein, die von einer Reise zurückkehren und zu Hause alles langweilig finden.

Dagegen gibt es einen ganz einfachen Trick. Marketingexperten kennen ihn: Man muss rigoros alles zur „Experience“ erklären: Nicht nur den Südafrikaurlaub, sondern auch das tägliche Betreten des heimischen Badezimmers, in dem der Blick auf den wunderschönen Flakon des Rosenwassers aus Florenz fällt, den simplen, komplett kostenlosen Spaziergang ans andere Ende der Stadt, das butterweiche Gleiten der hochwertigen Messerklinge durch die Tomaten, den Luxus, ein Auto zu besitzen, mit dem man jederzeit nach sonstwohin aufbrechen kann, weil man erwachsen ist.

Wer mehr Glücksmomente in seinem Leben will, muss nicht mehr oder weniger oder andere Sachen kaufen oder nichtkaufen. Er muss einfach nur umdenken. Er muss zum Marketingexperten des eigenen Lebens werden. Die Autowäsche am Mittwochnachmittag als Erlebnis feiern. Den Lachkrampf beim Abendessen genauso wie das abendliche Verschwinden unter der Leinenwäsche, die sich nach jedem Waschgang besser anfühlt. Und noch was sollte er dringend feiern: Den Besitz eines eigenen Gehirns. Das schützt einen nämlich davor, mit altkluger Miene alles nachzuplappern, was die anderen grad so plappern. Ändert sich eh so schnell wie das Wetter.