Erschienen 2015 in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG
Es sind jetzt sechs Frauen in meinem Umfeld, von denen ich weiß, dass sie sich innerhalb der letzten drei Jahre haben operieren lassen. Brüste, Schamlippen, Nase, Kinn. Alle Anfang bis Ende 20. Niemand darf es wissen und ich weiß es auch nur unter der Bedingung, dass es geheim bleibt. Aber ich nenne ja keine Namen.
Es ist so: Langsam verstehe ich nicht mehr, was da los ist und wie ich dazu stehe. Es bleibt ja auch nicht bei diesen sechs Frauen. Von noch einer weiß ich, dass sie zumindest über eine Operation nachdenkt. Sie habe sich mal bei einem Chirurgen erkundigt, ob man diese Falte zwischen Arm und Brust an der Achsel wegmachen könne. „Achselbrötchen“ sagt sie, nenne man diese Falte. Sie leide darunter. Sei einfach so unsexy.
Schönheitsoperationen sind schon lange nicht mehr das abgedrehte Hobby russischer Oligarchinnen oder koreanischer Plastikpop-Girls, sie sind im westlichen Mainstream angekommen. Auch wenn die Deutsche Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie (DGÄPC) keine absoluten Eingriffszahlen mehr verkündet, da sich zu viele Mediziner ohne Facharzttitel auf diesem Gebiet betätigen, kann man sagen: Die Anzahl an Schönheits-OPs nimmt in Deutschland rapide zu. Und das merkt man auch. Brustvergrößerungen, Nasenoperationen, aufgespritzte Lippen – hat man hier alles schon gesehen. Im Fernsehen, bei irgendwelchen Tussis im Club, vorm Hotel „Vier Jahreszeiten“. Und jetzt halt auch im Freundeskreis.
Am verstörendsten ist vielleicht noch der Trend zur Intimchirurgie. Laut DGÄPC zählen Operationen im Intimbereich zu den gefragtesten ästhetisch-plastischen Eingriffen. Eine englische Journalistin suchte 2009 nach Gründen für diesen Trend. In ihrer Dokumentation „The Perfect Vagina“ begleitete sie eine 21-Jährige bei ihrer Schamlippenkorrektur und analysierte die Hintergründe ihrer Entscheidung. Ergebnis: Die Vagina der jungen Frau sah nicht aus, wie sie sich eine normale Vagina vorstellte. Und deshalb wollte sie eine andere. Die perfekte Vagina ist derzeit nämlich eine im vorpubertären Stadium: komplett rasiert und deshalb glatt, wie die Oberseite eines Brötchens. Äußere Schamlippen, die die kürzeren inneren fest umschließen. Deshalb bekommt es jedes Mädchen, das untenrum nicht so aussieht, angesichts der Bilder, die sie in durchschnittlichen Pornos sieht, existenzielle Zweifel: Bin ich ein Mutant? Bin ich eklig? Werde ich so, wie ich bin, nicht begehrt werden?
Zahlen-Blabla und Schönheitsnormen hin oder her, dachte ich immer, so eine Operation, egal ob im Intimbereich, an den Brüsten, der Nase oder am Arsch, muss man sich ja auch erst mal leisten können. Wer vernünftig ist, lässt so etwas seriös machen, und seriös kostet Geld. Allein das, dachte ich, hielte Menschen aus meinem Bekanntenkreis davon ab, wirklich zur Tat zu schreiten.
Aber falsch gedacht. Erst neulich offenbarte mir eine meiner Bekannten, dass sie auf ihre Intimoperation jahrelang gespart habe. Grundsätzlich ergibt das natürlich Sinn: Was man sich sehnlichst wünscht, versucht man sich auch zu erfüllen. Die einen sparen auf ein Auto, ein großes Tattoo oder den Amerika-Roadtrip nach der Schule, die anderen eben auf Schönheits-OPs. Wieso jemand sehr viel Geld für einen gesundheitlich irrelevanten, extrem risikoreichen Eingriff ausgibt, muss ich dabei nicht verstehen.
Noch sind erschwingliche und trotzdem seriöse Schönheits-OPs in Deutschland eine Marktlücke. Aber die wird gerade entdeckt. Eine Kollegin schickte mir vor einigen Tagen den Link zu einer Werbung, die ihr so selbstverständlich vor ein Youtube-Video geschaltet wurde, als handele es sich um Werbung für Zahnpasta oder Waschmittel. In jenem Werbespot sitzt eine junge Frau in lichtem, weichgezeichneten Ambiente und erzählt, wie unkompliziert ihre Brust-OP bei dieser Firma gelaufen sei. Geradezu geborgen habe sie sich gefühlt und jetzt sei endlich alles so, wie es sein soll, wenn sie in den Spiegel sehe. Der Werbeslogan der Firma: „Schönheit muss nicht teuer sein.“
Eigentlich müsste man jetzt sagen: Na und? Ist nicht eine Gesellschaft erst dann wirklich freigeistig, wenn sie vorbehaltlos akzeptiert, dass jeder mit seinem Körper machen darf, was er will? Muss man, wenn man anfängt, Schönheits-OPs zu verurteilen, nicht konsequenterweise schon viel früher ansetzen und auch Make-up, Mode, Frisuren, jede Form von Körperdekor und von außen ansteckbarer Accessoires verurteilen? Und was ist das überhaupt für eine scheinheilige Scheiße, dass man operative Geschlechtsanpassungen von Transgendermenschen als mutigen Schritt zum Identitätsbekenntnis feiert, eine Frau, die aber ihre Nase stupsiger und ihre Schamlippen kleiner machen lässt, hingegen als komplexbeladenes Opfer eines mutierten Schönheitswahns verurteilt? Dabei wollen sie doch etwas Ähnliches: Aus dem Körper, den sie von Natur aus haben, ein bisschen raus. Sie beide glauben, erst wieder glücklich sein zu können, wenn sie ihren Körper operativ angepasst haben.
Der Psychologe Jürgen Margraf stellte in einer Studie fest, dass die meisten Patienten nach einer gewöhnlichen Schönheitsoperation zufriedener sind als vorher. Dauerhaft. Unter einer tiefer liegenden Depression oder einer Neigung zur pathologischen Operationssucht litten die allerwenigsten. Und der Philosoph Philipp Hübl beharrte im Jahr 2013 in einem Beitrag im Deutschlandradio darauf, dass der Trend zur Schönheitsoperation vor allem ein wertvolles Symbol für eine freie Gesellschaft sei. Die Möglichkeit, sein Äußeres zu verändern, verleihe dem Menschen Souveränität. Kann man also wirklich etwas Schlechtes daran finden?
Mich irritiert, dass ich von Schönheits-OPs in meinem Bekanntenkreis oft nur unter der Bedingung erfahre, dass sie ein Geheimnis bleiben. Man will den lästigen Makel nie gehabt haben. Man will so tun, als sei man so, wie man nun ist, immer gewesen. Wer findet schon künstliche Brüste, künstliche Nasen, künstliche Schamlippen wirklich attraktiv? Schönheits-OPs erzählen ja von Scham, Verzweiflung und der letztendlichen Kapitulation gegenüber einem barbiehaften Schönheitsideal. Sich operieren zu lassen, das wirkt erst mal unsouverän. Aber die, die sich operieren lassen, wollen ja durch die Operation endlich souverän werden. Kann etwas, das so widersprüchlich und so nach Selbstbetrug klingt, wirklich gut und gesund sein?
Tobias Hürter und Thomas Vasek, zwei Autoren des Philosophiemagazins Hohe Luft sagen: Nein. In einem Kommentar als Reaktion auf die Aussagen des Philosophen Hübls im Deutschlandradio fordern sie ein Verbot von Schönheitsoperationen.
Sie ziehen in ihrem Text eine deutliche Grenze zwischen modischen Accessoires wie dem Augenbrauenstift oder feinen Schuhen und Schönheits-OPs. Make-up etwa, sagen sie, hebe Züge eines Gesichts hervor, ohne sie zu verstecken. Schuhe, Moden, Frisuren und andere Accessoires wollten eventuelle Makel nicht unsichtbar machen, sondern nur mit ihnen spielen. OPs hingegen seien gezielte Täuschungen. Sie etablieren falsche Standards. Hürter und Vasek vergleichen Schönheits-OPs mit Doping im Sport und folgern: „Schönheitsoperationen sind Fouls im sozialen Spiel, das wir alle spielen.“
Wer sich operieren lässt, der konstituiert also eine künstliche Norm. Das Bewusstsein dafür, dass Schönheitsfehler interessant sein können und Natürlichkeit ohnehin magisch, verschwindet durch den Zwang zur Perfektion so verlässlich wie das Land Fantasien in der Unendlichen Geschichte. Die OPs mit Doping zu vergleichen, ist klug, weil es die kranken Dimensionen dieser vermeintlichen Hilfsmittel zur Selbstoptimierung zeigt: Wo soll das körperlich und moralisch hinführen, wenn man der Illusion anheim fällt, man könne immer noch besser werden, koste es, was es wolle? Wenn man glaubt, man müsse es sogar, um ein erstrebenswertes Maß an Prestige und Anerkennung zu erfahren?
Vielleicht aber sind Schönheits-OPs schon allein deshalb gar nicht so pervers, weil sie nur einen vergleichsweise winzigen Auswuchs einer viel grundsätzlicheren gesellschaftlichen Perversion darstellen: die Diktatur des Glaubens an die vollständige Kontrollierbarkeit des eigenen Schicksals. Traurigkeiten und Schmerzen muss man dank Psychotherapien und Schmerzmitteln heute kaum mehr ertragen. Embryonen lassen sich auf eventuelle Behinderungen untersuchen. Krebsanfällige Brüste kann man prophylaktisch abnehmen und durch künstliche ersetzen lassen. Eizellen einfrieren sowieso. Oder sich kurz vor dem körperlichen Verfall das Leben nehmen – die Liste wäre endlos und beschränkt sich bei Weitem nicht auf medizinische Angelegenheiten, sondern gilt auch für Job, Liebe, Sex, Instagram. Alles muss immer noch besser gehen. Du, nur du, bist verantwortlich für dein Schicksal, für deine Außenwirkung, für deine Klamotten und die Einrichtung deiner Wohnung.
Natürlich klingt so ein Credo erst mal nach Freiheit und kann auch Mut machen. Im Umkehrschluss heißt es aber auch: Wenn irgendwas scheiße läuft, hast du versagt. Es schult einen defizitorientierten Blick und macht in der Konsequenz nicht besonders zufrieden. Weil man immer nur noch dahin schaut, wo es noch nicht perfekt ist. Vielleicht sind das wahre Übel also nicht diese OPs. Sondern das Weltbild drumherum.
Interessant ist ja auch, dass Vaseks und Hürters Urteil, wann eine Schönheitsoperation ausnahmsweise gerechtfertigt ist, dann doch sehr willkürlich wird. Sie schreiben: „(…) Bei Menschen, die von Natur aus eine Entstellung haben – zum Beispiel extrem abstehende Ohren oder eine Verunstaltung durch einen schweren Unfall – ist eine ästhetische Korrektur durchaus angezeigt. Wenn jedoch junge Mädchen sich nur noch mit der aktuell angesagten Nasenform unter ihresgleichen blicken lassen wollen, dann entsteht ein Schönheitszwang (…)“.
Wieso sind angelegte Ohren okay, eine korrigierte Nase aber nicht? Kann man für eine extreme Hakennase nicht gehänselt werden? Für hängende Brüste? Gelbe Zähne? Zahnbleichzubehör gibt es mittlerweile sogar in der Drogerie. Wer entscheidet, wo Luxusproblem-Eitelkeit anfängt und wo eine sogenannte „Entstellung“?
Es gibt ja immer diesen Leitsatz, den man allen Menschen sagt, wenn sie unsicher sind: „Es ist egal, was die anderen sagen. Du musst selbst entscheiden, wann dein Leidensdruck zu groß ist, um ihn auszuhalten.“ Klingt einfach. Aber wie entscheidet man, welcher persönliche Leidensdruck einen in die Knie zwingen darf, und welcher aus moralischer und prinzipieller Verantwortung ausgehalten werden muss, zum vermeintlichen Wohl nachfolgender Generationen?
Ich weiß nur: Ich will irgendwann, falls ich eines kriege, ein Kind, das von Anfang an in dem Bewusstsein aufwächst, dass jeder Körper anders ist. So wie ja auch jeder Geist anders ist. Jeder Geschmack, jede Sehnsucht, jede Fantasie. Und dass die Lösung für soziale Differenzen oder innere Verwirrungen nie „Operation“ heißt, sondern „Klarkommen“. Mein Kind soll kapieren, dass in Differenzen das Interessante steckt. Ich will nicht, dass es in einem Freundeskreis aufwächst, in dem man ab 13 darauf spart, sich mit 16 die Brüste und die Schamlippen machen zu lassen, hier und da den Hinter aufspritzen und vermeintliche Cellulitis extrahieren lässt. Bestimmt geht so was dann auch schon.
Aber vielleicht ist das ja auch total weltfremd. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass es meinen Bekannten, die sich haben operieren lassen, mehr geschadet als genutzt hat. Sie scheinen glücklicher zu sein als zuvor. Gut für sie. Mich allerdings gruselt das weiterhin. Es macht mir Angst, weil ich es als eine Art Einknicken vor einem völlig unrealistischen Schönheitsideal begreife. Wahre Größe geht doch irgendwie anders.